Berlin, den 29. 11. 1939.

 

Der Oberste Befehlshaber

der Wehrmacht

OKW/WFA Nr. 215/39

g. Kdos. Chefs. Abt. LI

 

Geheime Kommandosache

Chef Sache

Nur durch Offizier


11 Ausfertigungen.

2. Ausfertigung.


 

Weisung Nr. 9 für die Kriegführung

Richtlinien für die Kriegführung gegen die feindliche Wirtschaft

 

1.) Im Krieg gegen die Westmächte ist England der Träger des Kampfwillens und die führende Macht der Feinde. England niederzuringen ist die Voraussetzung für den Endsieg.

Das wirksamste Mittel hierzu ist, die englische Wirtschaft durch Störung an entscheidenden Punkten lahmzulegen. 

2.) Die Entwicklung der Lage und unserer Rüstung kann in absehbarer Zeit günstige Voraussetzungen für eine umfassende Kriegführung gegen die wirtschaftlichen Grundlagen Englands schaffen. Es muß daher rechtzeitig Vorsorge getroffen werden, um durch die Zusammenfassung der geeigneten Kampfmittel der Wehrmacht auf die wichtigsten Ziele, England in seiner Wirtschaftskraft vernichtend zu treffen.

Die nichtmilitärischen Kampfmittel werden im Einklang mit den Maßnahmen der Wehrmacht nach besonderer Anweisung eingesetzt werden. 

3.) Ist es dem Heere gelungen, das engl.-franz. Operationsheer zu schlagen und einen Teil der England gegenüberliegen den Festlandküste in Besitz zu nehmen und zu behaupten, so tritt die Aufgabe der Kriegsmarine und Luftwaffe, den Kampf gegen die englische Wirtschaftskraft zu führen, in den Vordergrund. Mitwirkung der S- und K-Organisation[1] ist anzustreben. 

4.) Der Kriegsmarine und der Luftwaffe erwachsen dann in gemeinsamer Kampfführung folgende, in der Reihenfolge ihrer Bedeutung angeführten Aufgaben:

a) Kampf gegen die englischen Hauptumschlaghäfen durch Verminen und Blockieren der Zufahrtwege und durch Zerstören der lebenswichtigen Hafenanlagen und der Seeschleusen.

Hierbei kommt dem Flugzeug als Minenträger besonders für die Häfen an der englischen Westküste, in engen Wasserstraßen und Flußmündungen große Bedeutung zu. 

b) Kampf gegen den englischen Tonnageraum und die ihn schützende feindliche Flotte.

c) Vernichtung der englischen Vorräte, ölvorräte, Lebensmittel in Kühlhäusern und Getreidesilos.

d) Störung der englischen Truppen und Versorgungstransporte nach dem französischen Festland.

e) Zerstörung von Industrieanlagen, deren Ausfall für die militärische Kriegführung von entscheidender Bedeutung ist, vor allem die Schlüsselpunkte der Flugzeugindustrie und die Werke zur Herstellung von schwerer Artillerie, Flak, Munition und Sprengstoff.

5.) Die wichtigsten Umschlaghäfen Englands, die 95 % des Außenhandels aufnehmen und nur unzulänglich durch andere ersetzt werden können, sind:

 

London

Liverpool

Manchester

 

für die Lebensmittel, Holz und Öleinführ und Verarbeitung.

 Diese 3 Häfen nehmen bei einer Friedenseinfuhr von 58 % der Gesamteinfuhr eine entscheidende Stellung ein. 

Newcastle

Blyth

Sunderland

Hull

Swansea

Cardiff

Barry

  

 

 

für die Kohlenausfuhr.

 

 Als Ausweichhäfen kommen in begrenztem Umfang und nur für bestimmte Güter in Betracht:

 

Grangemouth

Holyhead

Leith

Bristol

Middlesbrough

Belfast

Grimsby

Newport

Southatnpton

Goole

Glasgow

Dundee

Eine dauernde Überwachung der etwaigen Verlagerungen ist erforderlich. Außerdem wird es darauf ankommen, den eng­lischen Außenhandel durch fortschreitende Einengung und Verlagerung in Räume zu zwingen, die dem wirksamen Zu­griff der eigenen See und Luftstreitkräfte unterliegen.

Angriffe gegen französische Häfen kommen nur insoweit in Betracht, als sie mit der Belagerung Englands in örtlichem oder sachlichem Zusammenhang stehen oder als Ausschiffungshäfen für Truppentransporte von Bedeutung sind.

6.) Bei denjenigen Häfen, gegen welche ein wirksamer Mineneinsatz nicht durchgeführt werden kann, ist der Handels­verkehr durch Blockierung der Hafenanlagen mit versenkten Schif­fen und Zerstörung der lebenswichtigen Anlagen lahmzulegen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei in den Häfen

Leith, Sunderland, Hüll, Grimsby, London, Manchester (Shipchannel), Liverpool, Cardiff, Swansea, Bristol-Avonmouth die Zerstörung der großen Seeschleusen, von denen insbesondere an der Westküste die Wasserregulierung und damit der Umschlag in den Häfen entscheidend abhängig sind.

7.) Bei der Vorbereitung dieser Operationen kommt es dar­auf an:

a) daß die bisher bekannten Grundlagen über die englischen Seehäfen, ihre Anlagen und ihre Leistungsfähigkeit, sowie über die englische Rüstungsindustrie und die großen Vorratslager dauernd überprüft und vervollständigt werden.

b) die Entwicklung einer wirksamen Methode, das Flugzeug als Minenleger auch für Ankerminen zu verwenden mit größter Beschleunigung vorwärts getrieben wird[2].

c) ein Vorrat an Minen geschaffen wird, der den sehr hohen Anforderungen genügt und zahlenmäßig den Einsatzmöglichkeiten von Kriegsmarine und Luftwaffe Rechnung trägt und

d) die Kampfführung selbst durch Kriegsmarine und Luftwaffe aufeinander abgestimmt und seitlich und örtlich in Übereinstimmung gebracht wird.

 Die Vorbereitungen sind hiernach baldigst zu treffen. Die Herren Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und der Luftwaffe bitte ich, mich über ihre Absichten laufend weiter zu unter­richten.

Den Zeitpunkt für die Aufhebung der nach meinen bisherigen Weisungen zunächst auch weiterhin gültigen Einschränkungen für den See und Luftkrieg behalte ich mir vor. Er wird voraussichtlich mit dem Beginn der großen Offensive zusammen fallen.

(gez.) Adolf Hitler Für die Richtigkeit: Sorge Hauptmann d. G. 

Verteiler:

OKH

OKM

R. d. L. u. Ob. d. L.

OKW

Chef WFA

Chef Wi Rü Amt

Chef Ausl/Abw.

Chef Sonderstab HWK

ChefL

LIa

LIb

LIc

K

(IV

 

 

1. Ausf.

2.     "

3.     "

 

 

4.     "

5.     "

6.     "

7.     "

8.     "

9.     "

10.   "

11.   "

Abschrift

2. „)

Vgl. ergänzend betr. Handelskriegführung gegen England: OKW/WFA Nr. 22249/39 gK Chefs, vom 30. 12. 1939 (gez. Jodl). Vgl. auch oben, Zusatz zu Nr. 8.


[1] Sabotage und KommandoOrganisation.

[2] Gemeint sind Ankertauminen, die eine Gefährdung der Seewege auch außerhalb der 40m Tiefe herbeiführen.

 

[9a]

 

F. H. Qu., den 26. 5. 1940.

 

Oberkommando

der Wehrmacht

WFA/Abt. L Nr. 33038/40

g. K. Chefs.

 

Bezug: OKW/WFA Abt. L

Nr. 215/39 g. K. Chefs.

vom 29. 11. 39.

 

Betr.: Richtlinien für die Krieg­führung

gegen die feind­liche Wirtschaft.

 

Chef Sache

Nur durch Offizier

 

12 Ausfertigungen

 2. Ausfertigung.

 

Ergänzung zur Weisung Nr. 9

 

Durch die Besetzung Norwegens und Hollands und den be­vorstehenden Abschluß der Operationen in Belgien und Nord­frankreich sind die Grundlagen für den Kampf gegen die feindliche Wirtschaft entscheidend verbessert. Stärkere Kräfte, insbeson­dere der Luftwaffe, werden aber für diese Aufgabe erst in einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung stehen.

Die nachstehende Ergänzung der geltenden Richtlinien soll daher in erster Linie der weiteren Vorbereitung dienen.

1) Bisheriges Ergebnis der Kampfführung gegen die feindliche
Wirtschaft:

a) Durch den Ausfall Skandinaviens, Belgiens und Hollands als Versorgungsbasis erhöht sich der feindliche Bedarf an Hochseetonnage. Demgegenüber hat England jedoch aus den Handelsflotten der besetzten Länder einen wertvollen Zuwachs an Schiffsraum erhalten.

b) Sowohl England wie Frankreich wurden zu fortschreitenden Rationierungsmaßnahmen ihrer Verbrauchswirtschaft gezwungen.

2) Aus der bisherigen Kampfführung ergeben sich nach­
stehende Folgerungen:

a) Bei der Brechung des Kampfwillens des Gegners kommt der Vernichtung seiner Lebensmittelversorgung eine hervorragende
 

Bedeutung zu. Diese ist daher bei dem Kampf gegen die Haupt­umschlaghäfen und gegen die Bevorratung besonders zu berücksichtigen. Hierbei ist auch der Transit durch Frankreich zu verhindern.

b) Mit einer entscheidenden Wirkung gegen die Feindwirt­schaft ist allein durch Kampf gegen die Tonnage nicht zu rechnen. Trotzdem muß der Kampf gegen die Tonnage aufrecht erhalten werden, um außer dem unmittelbaren Erfolg den Gegner ins Geleit und damit zu einer hohen Tonnagebeanspruchung zu zwingen. Hierbei kommt es auch darauf an, den Zwang zum Konvoy-System auf möglichst weit entfernte Seeräume aus­zudehnen.

c) Der Luftmineneinsatz ist im Einvernehmen zwischen Ob d M und Ob d L soweit erforderlich auch auf die französi­schen Atlantikhäfen auszudehnen.

d) Im Höhepunkt des Kampfes gegen die englische Wirt­schaft kann die Störung der Versorgungswirtschaft (Gas, Wasser, Elektrizität) eine entscheidende Bedeutung gewinnen. Maßnahmen hierfür sind ebenso wie die Schutzmaßnahmen für die eigene Versorgungswirtschaft vorzubereiten.

e) Im Einklang mit der Kampfführung gegen die feindliche Wirtschaft müssen Sabotage und wirtschaftliche Kampf maßnahmen in verstärktem Umfang durchgeführt werden. Gegenseitige Ergänzung mit den Kampfmaßnahmen von Kriegsmarine und Luftwaffe ist sicherzustellen.

4)[3] Unabhängig von den in der Weisung Nr. 9, Ziff. 4) ihrer Dringlichkeit nach genannten Aufgaben wird es im Zuge der Westoperationen vordringliche Aufgabe der Luftwaffe sein, die englische Luftrüstungsindustrie zu zerschlagen, um damit der englischen Luftwaffe als letzte unmittelbar gegen uns wirksame Waffe ihre Lebensgrundlage zu nehmen.

5) Der Zeitpunkt für den Beginn einheitlicher Kampfmaßnahmen gegen die feindliche Wirtschaft wird gesondert be­fohlen.

(gez.) Keitel

Verteiler:

OKH                  1. Ausf.

OKM                  2.    „

RdL u. ObdL      3.    „

 

OKWChefWFA

Chef Wi Rü

Chef Ausl/Atw

Chef Sonderst. HWK

ChefL

LIH

LIL

LIK

Ktb

4. Ausf.

5.   "

6.   "

7.   "

8.   "

9.   "

10.  "

11.  "

12.  "


[3] Soll heißen 3) und entspr. unten 4). Irrtümlich falsche Zählung in Anklang an die Bezugsziffer.