Brief an Reichspräsident Paul von Hindenburg

 

Den Brief von Otto Meissner an Adolf Hitler vom 22. November 1932

 

21. November 1932

 

Hochverehrter Herr Reichspräsident!

 

Aus Mitteilungen der Presse und einer mir abgegebenen Bestätigung durch den Herrn Staatssekretär Meißner erfahre ich von der Absicht Eurer Excellenz, mich offiziell zu ersuchen, in Verhandlungen mit den anderen Parteien einzutreten, ohne daß vorher die Bildung des neuen Präsidial-Kabinetts vorgenommen wird. Dieser Antrag erscheint mir so wichtig, daß ich im Interesse der Autorität des Namens und des Wollens Eurer Excellenz sowohl als im Interesse der so notwendigen Rettung des deutschen Volkes meine Stellungnahme hierzu schriftlich begründe.

 

Seit dreizehn Jahren stehe ich im Kampf gegen das parlamentarische System. Ich sehe in ihm einen unbrauchbaren Vorgang der politischen Willensbildung sowohl als des politischen Willensausdrucks der Nation. Diese Überzeugung ist seitdem, angeregt durch eine unermüdliche Propaganda von mir und meinen Mitarbeitern, Gemeingut vieler Millionen deutscher Menschen geworden. Diese haben es daher begrüßt, daß Eure Excellenz den Entschluß faßten, der neuen Erkenntnis Rechnung tragend, einen Umbau der Staatsführung vorzunehmen. Soll aber diese neue Staatsführung nicht in einer Katastrophe enden, dann muß sie einen verfassungsmäßig zulässigen Ausgangspunkt finden und in einer angemessen kurzen Zeit zum wirklichen Willensträger der Nation werden. Sie muß daher eine innere lebendige Beziehung zu einem an sich schon tragfähigen Teil des deutschen Volkes erhalten. Diesen Prozentsatz dann weiterhin organisch zu vermehren, um allmählich die ganze Nation zu erfassen, ist ihre Aufgabe. Unterbleibt dies, so entsteht eine sich nur auf Bajonette stützende und damit aber auch nur auf sie allein angewiesene Diktatur. Wenn nicht aus inneren Anlässen, so wird bei der ersten außenpolitischen Belastung der Zusammenbruch eintreten. Die Folge kann nur der Bolschewismus sein. Ich habe daher - das Scheitern der Regierung von Papen an den Erfahrungen der ersten sechs Wochen voraussehend - am 13. August die Überzeugung vertreten, daß nur durch eine Betrauung der nationalsozialistischen Bewegung mit dieser Mission diese Aufgabe erfolgreich durchgeführt werden könne.

 

Aus Gründen, die hier nicht berührt werden sollen, glaubten Eure Excellenz, Herr Reichspräsident, meinen damaligen Vorschlag ablehnen zu müssen.

 

Nach nunmehr sechsmonatiger Regierung ist - wie von mir vorausgesagt - das Kabinett Papen in eine rettungslose Isolierung nach innen, Deutschland in eine ebensolche nach außen geraten. Die Ergebnisse des Versuchs einer Rettung unserer Wirtschaft und einer Beseitigung der Arbeitslosigkeit sind teils unbefriedigend, teils überhaupt nicht fühlbar. Die soziale Not ist grauenhaft. Das allgemeine Vertrauen ist auf den Nullpunkt gesunken. Die Bolschewisierung der breiten Massen schreitet rapide vorwärts.

 

Wenn heute eine neue Regierung diese politisch, wirtschaftlich und finanziell furchtbare Erbschaft übernehmen soll, dann wird ihre Tätigkeit von Erfolg nur begleitet sein können, wenn sich in ihr eine ebenso große Autorität von oben wie die starke Kraft von unten vereinigt.

 

Wenn ich daher als Führer der nationalsozialistischen Bewegung von Eurer Excellenz nunmehr wieder nach Berlin gerufen worden bin, um an der Behebung dieser schwersten Krise unseres Volkes mitzuwirken, dann kann dies nach meinem besten Wissen und Gewissen und nach meiner Einsicht nur geschehen, wenn die Bewegung und ich selbst diejenige Stellung erhalten, die zur Erfüllung dieser Aufgabe nötig ist, der Bewegung aber Kraft ihrer Stärke auch zukommt. Denn die harte Notwendigkeit, Deutschland höherzustellen als die Parteien, wird erst dann anerkannt werden, wenn der stärksten Bewegung als Verhandlungsfaktor von vornherein die Stellung gegeben wird, die bisher noch sämtlichen Trägern der Präsidialgewalt von Eurer Excellenz verliehen wurde. Vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus ist diese Forderung nicht weniger zu vertreten. Denn die nationalsozialistische Bewegung bringt in jeder Regierung mit 196 Mandaten allein schon 7, der für eine legale Tätigkeit notwendigen Zahl an Abgeordneten mit.

 

Ich kann Eurer Excellenz meinen festen Entschluß versprechen, ein von mir vorgeschlagenes, unter meiner Führung stehendes und von Eurer Excellenz genehmigtes Präsidialkabinett mit jenen verfassungsmäßigen Voraussetzungen zu versehen, die für eine lange und gedeihliche Arbeit zur Wiederaufrichtung unseres politisch und wirtschaftlich ruinierten Volkes nötig sind. Ich richte dafür an Eure Excellenz nur eine einzige Bitte, mir zumindest das an Autorität und an Stellung geben zu wollen, was selbst die Männer vor mir erhielten, die zu dem großen Wert der Autorität und der Bedeutung des Namens von Eurer Excellenz ihrerseits nicht soviel mitbringen konnten als ich. Denn wenn ich schon gezwungen bin, der Verfassung wegen für die legale Tätigkeit der kommenden Regierung um Parteien zu werben, dann bringe ich doch, Herr Reichspräsident, selbst die allergrößte Partei mit. Mein eigener Name aber und die Existenz dieser größten deutschen Bewegung sind Pfänder, die durch einen ungünstigen Ausgang unseres Einsatzes vernichtet werden müssen. Dann aber, Herr Reichspräsident, sehe ich hinter uns nicht eine Militärdiktatur, sondern das bolschewistische Chaos.

 

Sollte aber die Absicht bestehen, nunmehr überhaupt zu rein altparlamentarischen Regierungsformen zurückzukehren, dann müßte meiner Überzeugung nach dieses Wollen Eurer Excellenz offen bekanntgegeben werden. In diesem Falle aber bitte ich ehrerbietigst, auf die weitgehenden Folgen eines solchen Entschlusses hinweisen zu dürfen. Ich würde dies auf das tiefste bedauern.

 

Ich darf daher zusammenfassend Eure Excellenz bitten, diese meine Gründe würdigen zu wollen und von einem solchen Versuch der Lösung der Krise abzusehen.

 

In vorzüglicher Hochachtung

Adolf Hitler


 

Brief an Staatssekretär Otto Meißner

 

21. November 1932

 

Sehr verehrter Herr Staatssekretär!

 

Erfüllt von der großen Verantwortung in dieser schweren Zeit habe ich eine gründliche Durchprüfung des mir heute vom Herrn Reichspräsidenten zugestellten Auftrags vorgenommen. Nach eingehenden Aussprachen mit führenden Männern meiner Bewegung und des sonstigen öffentlichen Lebens bin ich dabei zunächst zu folgendem Ergebnis gekommen:

 

Ein Vergleich der beiden Schriftstücke, des mir gewordenen Auftrags einerseits und der vorausgesetzten Bedingungen andererseits ergibt in einer Reihe von Punkten einen mir unlösbar erscheinenden Widerspruch. Ehe ich dazu Stellung nehme und davon meine endgültige Entscheidung abhängig mache, darf ich Sie, Herr Staatssekretär, bitten, die Ansicht des Herrn Reichspräsidenten festzustellen und mir mitzuteilen, welche Regierungsform der Herr Reichspräsident wünscht und in diesem Falle im Auge hat. Schwebt ihm ein Präsidialkabinett vor unter Sicherstellung der verfassungsmäßig nötigen parlamentarischen Tolerierung, oder will Seine Excellenz ein parlamentarisches Kabinett mit Vorbehalten und Einschränkungen der mir bekannt gegebenen Art, die ihrem ganzen Wesen nach nur von einer autoritären Staatsführung eingehalten und damit versprochen werden können. Sie werden, Herr Staatssekretär, bei einem kritischen Vergleich der beiden Dokumente unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen, der verfassungsmäßigen Stellung und damit Verantwortung einer parlamentarischen Regierung die Wichtigkeit dieser grundsätzlichen Klärung von selbst erkennen. Hinzufügen möchte ich noch, daß Herr Reichskanzler Brüning einer der parteipolitischen Führer des Zentrums war und geblieben ist und dennoch in seinem zweiten Kabinett Präsidialkanzler wurde. Ich selbst habe mich nicht als ‚Parteiführer’ gefühlt, sondern einfach als Deutscher, und nur um Deutschland vom Druck des Marxismus zu erlösen, gründete und organisierte ich eine Bewegung, die weit über die Grenzen des deutschen Reiches hinaus lebt und wirksam wird. Daß wir in die Parlamente gingen, hat seinen Grund nur in der Verfassung, die uns zwang, diesen legalen Weg zu beschreiten. Ich selbst aber habe mich bewußt von jeder parlamentarischen Tätigkeit ferngehalten. Der Unterschied zwischen meiner und der Auffassung des Kabinetts Papen über die Möglichkeit einer autoritären Staatsführung liegt nur darin, daß ich gerade bei dieser voraussetze, daß sie eine Verankerung im Volke besitzt. Dies im Interesse der deutschen Nation gesetzmäßig herbeizuführen, ist mein sehnlichster Wunsch und mein vornehmstes Ziel.

 

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung Ihr sehr ergebener

Adolf Hitler

 

 

Brief von Staatssekretär Otto Meissner an Adolf Hitler

 

22. November 1932

 

Sehr verehrter Herr Hitler!

 

Auf Ihr gestriges Schreiben beehre ich mich, im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten folgendes zu erwidern:

 

Der Herr Reichspräsident sieht den Unterschied zwischen einem Präsidial-Kabinett und einer parlamentarischen Regierung in folgenden Merkmalen:

 

1) Das Präsidial-Kabinett – aus der Not der Zeit und dem Versagen des Parlaments geboren – wird in der Regel die notwendigen Regierungs-Maßnahmen ohne vorherige Zustimmung des Parlaments auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung in Kraft treten lassen. Es bezieht seine Machtvollkommenheiten also in erster Linie vom Reichspräsidenten und braucht das Parlament im allgemeinen nur zum Sanktionieren oder Tolerieren dieser Maßnahmen. Eine parlamentarische Regierung muß alle Gesetzesentwürfe vor dem Inkrafttreten den gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung und Genehmigung vorlegen; sie bezieht ihre Machtvollkommenheiten also ausschließlich von einer parlamentarischen Mehrheit. Daraus ergibt sich, daß der Führer eines Präsidialkabinetts nur ein Mann des besonderen Vertrauens des Herrn Reichspräsidenten sein kann.

 

2) Das Präsidial-Kabinett muß überparteilich geführt und zusammengesetzt sein und ein vom Reichspräsidenten gebilligtes, überparteiliches Programm verfolgen. Eine parlamentarische Regierung wird in der Regel von dem Führer einer der für eine Mehrheits- oder Koalitionsbildung in Frage kommenden Parteien und aus Mitgliedern dieser Parteien gebildet und verfolgt im wesentlichen Ziele, auf die der Reichspräsident nur in geringem Maße und nur mittelbaren Einfluß hat. Hiernach kann ein Parteiführer, noch dazu der Führer einer die Ausschließlichkeit seiner Bewegung fordernden Partei, nicht Führer eines Präsidialkabinetts sein.

 

3) Reichskanzler Brüning hat bei seiner ersten Berufung ein ausgesprochen parlamentarisches, auf die Parteien gestütztes Kabinett gebildet, das sich erst allmählich zu einer Art Präsidialkabinett verwandelt hat, als der Reichstag bei der Gesetzgebung versagte und Herr Brüning sich das Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten in weitestem Maße erworben hatte. Die verschiedenen Änderungen in der Besetzung seines Kabinetts im Laufe seiner Regierungszeit wurden in erster Linie durch den Wunsch des Herrn Reichspräsidenten herbeigeführt, diese Umwandlung seines Kabinetts zum Präsidialkabinett auch in der persönlichen Zusammensetzung in Erscheinung treten zu lassen und den Schein einer Zentrumsvorherrschaft durch entsprechende personelle Änderungen zu vermeiden. Auf ähnlichem Wege könnte naturgemäß auch eine von Ihnen geführte parlamentarische Regierung im Laufe der Zeit sich zum Präsidialkabinett wandeln.

 

4) Das Kabinett Papen war ein reines Präsidialkabinett, das nur zurückgetreten ist, weil es eine Mehrheit im Parlament zur Duldung seiner Maßnahmen nicht finden konnte. Ein neues Präsidialkabinett wäre also nur dann eine Verbesserung, wenn es diesen Mangel beseitigen könnte und gleichzeitig die Eigenschaften des Kabinetts Papen (überparteiliche Führung und Zusammensetzung ohne Parteiprogramm und Besitz des besonderen Vertrauens des Herrn Reichspräsidenten) besäße.

 

5) Nach diesen Ausführungen kann es sich bei dem Auftrag des Herrn Reichspräsidenten an Sie, sehr verehrter Herr Hitler, nur um die Bildung eines parlamentarischen Mehrheits-Kabinetts handeln. Der Herr Reichspräsident hat sich zu diesem Versuche entschlossen, nachdem seine Besprechungen mit den Parteiführern die Möglichkeit der Bildung einer Mehrheit im Reichstag für ein von Ihnen geführtes Kabinett ergeben und Sie selbst in der Besprechung am 19. November die Schaffung einer Mehrheit für eine von Ihnen gebildete Regierung und für ein dieser zu erteilendes Ermächtigungsgesetz für aussichtsreich gehalten haben. Die von dem Herrn Reichspräsidenten Ihnen auf Ihre Frage mitgeteilten „Voraussetzungen“ für eine solche Regierungsbildung stehen mit einer parlamentarischen Lösung nicht im Widerspruch. Der Herr Reichspräsident hat in Festhaltung der von seinem Amtsvorgänger wie auch von ihm stets geübten Staatspraxis bisher jedem Kabinett gewisse grundsätzliche Forderungen auferlegt; im übrigen haben auch die Besprechungen des Herrn Reichspräsidenten mit den Parteiführern erkennen lassen, daß gegen diese Forderungen grundsätzliche Widerstände nicht bestehen. Falls indessen eine der von Ihnen bekanntgegebenen Voraussetzungen des Herrn Reichspräsidenten für die Regierungsbildung sich als entscheidendes Hindernis zur Erreichung einer sicheren Mehrheit erweisen sollte, so würde das Gegenstand der erbetenen Berichterstattung über den Erfolg Ihrer Feststellungen sein.

 

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung bin ich.

 

Ihr sehr ergebener

Dr. Meissner