Brief an Reichskanzler Heinrich Brüning

 

Den Brief von Brüning an Adolf Hitler vom 22. Januar 1932

 

 

Herr Reichskanzler!

 

In dem mir unter dem 23. Januar zugestellten und von Ihnen, Herr Reichskanzler, gezeichneten Brief finde ich Auffassungen, die meiner Überzeugung nach ebenso irrig in den Annahmen wie falsch und unsachlich in den Folgerungen sind. Ich möchte daher die von Ihnen eröffnete Debatte bezüglich einer parlamentarischen Verlängerung der Reichspräsidentschaft des Generalfeldmarschalls von Hindenburg für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei nicht zum Abschluß bringen, ohne zu diesen Punkten Stellung genommen zu haben.

 

Sie schreiben, Herr Reichskanzler, daß es sich nicht um ein ‚Aufheben‘ der die Wahl des Reichspräsidenten betreffenden Bestimmung der Weimarer Verfassung gehandelt habe, daß demnach der verfassungsmäßig niedergelegte Vorgang der Wahl des Reichsoberhauptes nicht verlassen werden sollte, sondern es sollte, wie es mir gegenüber klar zum Ausdruck gebracht worden sei, nur die Amtsdauer der geschichtlichen Gestalt des jetzigen Reichspräsidenten ‚aus Gründen des Gesamtwohles des deutschen Volkes‘ im Wege der Gesetzgebung um eine gewisse Zeit verlängert werden.

 

Herr Reichskanzler, dieser Darstellung widerspreche ich. Herr Reichsinnenminister, General Groener, hat mir in seiner Eröffnung mitgeteilt, daß die Absicht bestünde, aus außenpolitischen Gründen von einem Wechsel in der Person des Herrn Reichspräsidenten Abstand zu nehmen. Es gäbe dabei zwei Möglichkeiten:

 

1. Generalfeldmarschall v. Hindenburg könnte erneut zur Volkswahl als Kandidat aufgestellt werden. Dagegen habe sich dieser aus begreiflichen Gründen, die vor allem in dem hohen Alter des Herrn Reichspräsidenten liegen, verwahrt. Auch Sie selbst, Herr Reichskanzler, betonten uns gegenüber, daß schon aus physischen Gründen der Herr Reichspräsident nicht mehr in der Lage sei, eine Wahlkampagne auf sich zu nehmen.

 

2. Herr Reichsinnenminister, General Groener, entwickelte weiter, es bestünde die Möglichkeit einer Verlängerung der Amtsdauer des Herrn Reichspräsidenten durch eine parlamentarische verfassungsändernde Mehrheit. Er führte weiter aus, daß, so sehr auch dem Zweck vielleicht schon mit der Verlängerung auf eine gewisse Zeit gedient wäre, dem Herrn Reichspräsidenten doch nicht zugemutet werden dürfte, sich ein zeitlich begrenztes und damit auch nach dessen Auffassung beschranktes Vertrauensvotum ausstellen zu lassen. Der Herr Reichspräsident bestehe daher darauf, daß in diesem Falle die Verlängerung seiner Amtsdauer auf die Zeit einer vollen Amtsperiode vorgenommen werde. In den mir vorgelegten fünf Punkten war allerdings vorgesehen, daß es dem Herrn Reichspräsidenten überlassen sein müßte, das Amt anzunehmen oder nicht, und daß es weiter in seinem Ermessen stünde, nach seinem Belieben den Zeitpunkt einer eventuellen Amtsniederlegung persönlich zu wählen.

 

In einer späteren Besprechung mit dem Herrn Staatssekretär Meißner wurde ebenfalls auf diese Punkte hingewiesen. Es ist daher etwas irreführend, wenn Sie, Herr Reichskanzler, von einer Verlängerung auf eine gewisse Zeit schreiben. Richtig ist, daß der Reichstag die Amtsdauer des Herrn Reichspräsidenten auf 7 Jahre, also auf die volle gesetzlich vorgezeichnete Amtsperiode verlängern sollte.

 

Wie Sie nun der Ansicht sein können, daß damit der verfassungsmäßig bestimmte Hergang der Wahl des Reichsoberhauptes nicht verlassen würde, ist mir unverständlich. Denn Ihr Vorschlag würde in der Form einer zeitlich begrenzten Suspension inhaltlich wie tatsächlich eine Außerkraftsetzung und damit Aufhebung der die Wahl des Reichspräsidenten betreffenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung bedeuten. Es ist dabei gänzlich belanglos, ob sich dieser Vorgang nach 7 Jahren wiederholen soll, oder ob man dann geruht, auf die Artikel der jetzigen Verfassung zurückzukommen. Denn wenn dieser Weg überhaupt beschritten wird, ist es klar, daß die Gründe, die heute zu einer Aufhebung der Bestimmungen der Verfassung für die nunmehr fällige Reichspräsidentenwahl angeführt werden, in 7 Jahren genauso wieder angeführt werden können. Die Motivierung, daß dieses Vorgehen ‚aus Gründen des Gesamtwohles des deutschen Volkes‘ stattfinden soll, ist keine irgendwie verfassungsrechtlich ins Gewicht fallende, sondern eine rein persönliche Auffassung, die, wenn einmal überhaupt zugelassen, von jedem Kanzler und bei jeder Reichspräsidentenwahl nach Belieben wiederholt und geltend gemacht werden kann.

 

Wenn aber durch ein verfassungsänderndes Gesetz die Amtsdauer des Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg auch nur auf beschrankte Zeit verlängert würde, so ist nichtsdestoweniger auch damit die Bestimmung der Weimarer Verfassung über die Wahl des Reichspräsidenten praktisch aufgehoben, denn die Verfassung zwingt rechtlich dazu, daß nach Ablauf der Amtszeit des Reichspräsidenten dieser im Mai des laufenden Jahres erneut vom Volk zu wählen ist, und gestattet damit nicht, daß durch das Parlament die Amtszeit des zur Zeit amtierenden Reichspräsidenten verlängert wird. Es würde also tatsächlich diese Bestimmung der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt.

 

Es spielt keine Rolle, auf welche Zeit diese Außerkraftsetzung erfolgt, denn die Verfassung ist nicht eine Vorschrift von irgendwie periodisch begrenzter Wirksamkeit für das Verfassungsleben der Nation, sondern sie soll eine dauernd gültige sein. Ich kann nicht, soferne die Verfassung es nicht selbst ausdrücklich zuläßt, einzelne ihrer Bestimmungen vorübergehend außer Kraft setzen, ohne daß ich diese Normen damit de facto aufgehoben habe. Die Verfassung schreibt ja ausdrücklich vor, welche Bestimmungen vorübergehend aus bestimmten Gründen und zu bestimmten Zwecken außer Kraft gesetzt werden können. Nur in diesen besonders berücksichtigten Fällen dürften gewisse, genau angeführte Bestimmungen der Verfassung vorübergehend sistiert werden, ohne rechtspolitische Gefährdung der Verfassungsgrundlagen.

 

Daß die Reichspräsidentenwahl nicht in den Bereich dieser Punkte gehört, geht einwandfrei hervor aus:

1. der erschöpfenden Aufzählung der Bestimmungen der Verfassung, die vorübergehend außer Wirksamkeit gesetzt werden können, und

2. der klaren Fassung des Artikels 43, Abs. I, der besagt, daß das Amt des Reichspräsidenten 7 Jahre dauert und seine Wiederwahl zulässig ist.

 

Es ergibt sich daraus unzweideutig, daß nur derselbe Rechtsakt, der einen Reichspräsidenten in sein Amt beruft, ihn erneut in diesem Amte bestätigen kann. Eine allenfalls auch rechtsformal gestützte Umgehung des Verfassungsgrundsatzes der freien Volkswahl des Reichspräsidenten ist und bleibt tatsächlich eben eine Aufhebung der die Reichspräsidentenwahl garantierenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung.

 

Vom Standpunkt der demokratischen Grundrechte aus hat aber nur das Volk den in der Verfassung niedergelegten Rechtsanspruch, die Wahl des Reichsoberhauptes persönlich und unmittelbar vorzunehmen. Dieses Volksrecht kann nicht durch irgendeine sogenannte qualifizierte Reichstagsmehrheit ersetzt werden, ohne daß nicht tatsächlich dieses Volksrecht damit aufgehoben wird. Selbst wenn man aber das Gegenteil gelten ließe, dann müßte, wie ich schon in meinem letzten Schreiben an Sie, Herr Reichskanzler, mir zu betonen erlaubte, nach allen Auffassungen von Recht und Billigkeit der Reichstag im Zeitpunkt der fälligen Wahl des Reichspräsidenten ein wirklicher Repräsentant des dann gegebenen Volkswillens sein. Daß aber der heutige Reichstag nicht in diesem Sinne Vertreter des jetzigen deutschen Volkswillens ist, wissen Sie, Herr Reichskanzler, am allerbesten!

 

Nun schreiben Sie, Herr Reichskanzler, daß der Artikel 76 in seiner Feststellung, daß ‚die Verfassung im Wege der Gesetzgebung geändert werden kann‘, so allgemein gefaßt sei, daß kein Grund ersichtlich ist, warum nicht durch ein verfassungsänderndes Gesetz von der Bestimmung des Artikels 43 Abs. I der Reichsverfassung, wonach das Amt des Reichspräsidenten 7 Jahre dauert, abgewichen werden könnte. Herr Reichskanzler, ich empfinde diesen Vorschlag und die daran geknüpfte Meinung, daß damit ja nur die Amtsdauer des Reichspräsidenten verlängert würde, ohne die Wahl als solche aufzuheben oder auch nur zu beeinträchtigen, einfach als unverständlich.

 

Praktisch heben Sie damit die allerwesentlichste Bestimmung der Verfassung auf: Denn nunmehr soll das Volk nicht mehr mit der Wahl seines Reichspräsidenten nach Ablauf von sieben Jahren betraut werden, indem man die Amtszeit auf dem Wege eines verfassungsändernden Gesetzes einfach um soundsoviele Jahre verlängert. Es ist ganz klar, daß damit genauso gut die Amtsdauer auch auf Lebenszeit festgesetzt werden kann!

 

Und dabei wagen Sie, Herr Reichskanzler, zu erklären, daß Ihr Vorschlag keine Aufhebung der die Wahl des Reichspräsidenten betreffenden Bestimmung der Weimarer Verfassung sei?

 

Herr Reichskanzler, Ihre jetzige Darstellung beinhaltet noch viel mehr. Sie gefährdet die derzeit geltende Verfassung überhaupt. Der Grundgedanke der Weimarer Verfassung war, ähnlich wie in der Verfassung der nordamerikanischen Union, der, dem Reichstag den vom Volk gewählten Reichspräsidenten gegenüberzustellen. Von diesen beiden Grundsäulen unseres Reichsaufbaues versuchen Sie die eine einzureißen. Ich verstehe dann nicht, wieso Sie noch weiter beifügen können, daß in diesem Falle nicht von einer Auslieferung des Reichspräsidenten an die wechselnden Zufälle parlamentarischer Majoritäten gesprochen werden könne. Es ist ganz klar, Herr Reichskanzler, wenn eine Reichstagsmehrheit das Recht besitzen soll, die Amtsdauer des Herrn Reichspräsidenten zu verlängern, dann müßte genauso gut eine andere Mehrheit das Recht haben, sie abzukürzen. Freilich ergibt sich die Bedenklichkeit Ihrer Gedankengänge schon daraus, Herr Reichskanzler, daß die unausbleibliche Folge einer derartigen parlamentarischen Amtszeitverlängerung eine in ihren Auswirkungen unabsehbare Herabminderung des Ansehens und Einflusses eines derartig vom Parlament abhängig gewordenen Reichspräsidenten bringen wird.

 

Ihre weitere Meinung, daß die Bestimmung des Artikels 43 Abs. I über die Amtsdauer des Reichspräsidenten dabei als solche bestehen bliebe, ist zumindest für jeden geradlinigen Laienverstand unfaßbar. Denn in der Praxis heißt das dann: der Abs. l Art. 43, ‚Das Amt des Reichspräsidenten dauert 7 Jahre‘, bleibt auf dem Papier dem deutschen Volk vermutlich als Reliquie der Weimarer Verfassung erhalten, während der Reichspräsident selbst nicht 7, sondern 14, oder vielleicht auch 20 und mehr Jahre Amtsdauer vom Reichstag zugebilligt erhält.

 

Ohne Rücksicht auf die rein juristischen Konstruktionen, ergäbe sich folgender Zustand: Eine Präsidentschaft nach außen hin verfassungstreu, nach innen tatsächlich verfassungswidrig. Herr Dr. Brüning, warum haben Sie nicht schon vor 7 Jahren Hindenburg statt Wilhelm Marx gewählt?

 

Zu Ihren Auslassungen, Herr Reichskanzler, über die politischen Gründe, die mich als Führer der nationalsozialistischen Bewegung zwingen, bei aller Verehrung für die Person des Generalfeldmarschalls Ihren Versuch abzulehnen, erlaube ich mir folgendes zu bemerken:

 

Sie sehen in den Argumenten, die wir für unsere Ablehnung Ihres Vorschlages vorzubringen haben, eine unsachliche, aus rein parteipolitischen Interessen heraus bedingte Einstellung, während Sie zum Unterschiede davon für sich allein das Recht in Anspruch nehmen, nach ‚vaterländischen‘ und ähnlichen Gesichtspunkten zu handeln. Herr Reichskanzler, darf ich mir dann die Frage erlauben:

 

Haben Sie vor 7 Jahren, als das Zentrum die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten auf das schlimmste bekämpfte und dem Generalfeldmarschall eine wirklich alles andere als ‚geschichtliche Gestalt‘ als Gegenkandidaten entgegenstellte, damals Ihre Stimme Herrn gegeben, ebenfalls aus vaterländischen Erwägungen oder aus parteipolitischen?

 

Oder sollte Ihrer Meinung nach vor 7 Jahren das vaterländische Interesse gegen Hindenburg gesprochen haben und erst heute dafür?

 

Herr Reichskanzler, Sie haben die rein persönliche Auffassung, daß heute Ihr parlamentarischer Versuch eine nationalpolitisch notwendige Tat sei und ich habe die Überzeugung, daß die nationalpolitisch wichtigste Handlung die Beseitigung des heutigen Systems ist. Sie schreiben in Ihrem Briefe, daß Sie zur ‚Steuer der Wahrheit‘ meinen ‚Theorien‘ durch den Hinweis auf die Tatsachen entgegentreten müßten.

 

Herr Reichskanzler, ich habe Ihren Brief jetzt vielleicht schon ein dutzendmal durchgelesen, aber ich suche vergebens diese ‚Tatsachen‘, deren Anführung anscheinend wohl vergessen wurde. Sie sagen, daß Sie es vom ‚vaterländischen Standpunkt‘ aus auffällig finden, daß ich die Hauptursache der deutschen Not auf unsere parteipolitischen Verhältnisse zurückführe. Herr Reichskanzler! Fürst Bismarck, der doch fraglos auch einen vaterländischen Standpunkt einnahm und gerade deshalb vom Zentrum angehaßt und auf das furchtbarste befehdet wurde, hat insbesondere, soweit es sich um die Parteien handelt, die Ihre tragenden Kräfte, Herr Reichskanzler, sind, die ganz gleichen Auffassungen über diese parteipolitischen Hauptursachen der deutschen Not gehabt.

 

Dann schreiben Sie - auch sehr wenig ‚tatsächlich‘ -, daß nach ‚fast allgemeiner Auffassung‘ ein ‚außenpolitischer Tatbestand‘ für unsere Not der Versailler Vertrag sei, mit seiner politischen und wirtschaftlich-finanziellen Ungerechtigkeit und Unvernunft, der sowohl unsere deutsche Not, als auch die Weltnot verursache.

 

Sehr richtig, Herr Reichskanzler! Aber zu einem Versailler Vertrag wäre es nie gekommen, wenn nicht die hinter Ihnen stehenden Parteien des Zentrums, der Sozialdemokratie und der Demokratie das alte Reich ausgehöhlt, zerstört und verraten hätten, wenn sie nicht die Revolution vorbereitet, durchgeführt oder zumindest akzeptiert und gedeckt hätten. Nicht ich, Herr Reichskanzler, habe jemals im Versailler Vertrag eine mögliche Basis für das Leben unseres Volkes oder das Gedeihen der Wirtschaft gesehen, aber die hinter Ihnen stehenden Parteien haben durch die Unterzeichnung dieses Vertrages seine Erfüllung zumindest als möglich vorgetäuscht. Derjenige, der als erster in Deutschland in unzähligen Massenversammlungen gegen diesen Vertrag Stellung nahm, war, um ‚geschichtlichen Verwechslungen vorzubeugen‘, ich, nicht Sie.

 

Die unerbittliche Handhabung aber dieses Vertrages, die, wie Sie meinen, in den ersten 5 Jahren jeden deutschen Wiederaufbau zerstörte, wäre ganz unmöglich gewesen, wenn nicht gewisse ‚deutsche‘ Parteien zu jeder Erpressung, Schmach und Schande ihre Zustimmung gegeben hätten.

 

Ich gehe daher nicht ‚an den außenpolitischen Verhältnissen vorbei‘, auch nicht an dem dadurch geschaffenen ‚Sachverhalt‘, sondern ich mache diejenigen verantwortlich, die durch ihr Wirken diese Verhältnisse entweder schufen oder zumindest begünstigten. So wie Bismarck einst die alte freisinnige Partei überwinden mußte, um Deutschland zu schmieden, müssen Ihre Parteien, Herr Reichskanzler, vernichtet werden, um Deutschland zu retten.

 

Herr Reichskanzler! Sie reden von ‚sachkundigen Männern aller Länder‘ und versuchen diese gegen uns auszuspielen. Wollen Sie etwa auch die Gutachten jener ‚Sachverständigen‘ anführen, die erst den Dawes-Pakt und dann den Young-Plan dem deutschen Volk aufgeschwatzt haben, indem sie segensreiche Wirkungen für uns und die übrige Welt aus diesen ‚Verträgen‘ voraussagten?

 

Herr Reichskanzler, nicht Ihre Sachverständigen haben die Entwicklung richtig prophezeit, sondern wir. Ich bin jederzeit bereit, die ‚Gutachten‘ Ihrer ‚Sachverständigen‘ unseren damaligen Warnungen angesichts des ganzen deutschen Volkes gegenüberzustellen, Selten würden in einer für Deutschland furchtbareren Weise Gutachten von Regierungssachverständigen durch die Tatsachen widerlegt. Die heutige Katastrophe, Herr Reichskanzler, haben wir seit Jahren vorhergesagt, dafür wurden wir von Ihnen und Ihren Parteien als ‚staatsgefährliche Phantasten‘ verschrieen.

 

Herr Reichskanzler! Sagen Sie aber, daß auch eine andere Reichsregierung auf Ihren Wegen weiter fortschreiten müßte, so billige ich Ihnen von Ihrem Standpunkt aus die Notwendigkeit einer solchen Einstellung zu; wie jeder Feldherr, und mag er noch so viele Niederlagen erlitten haben, immer noch überzeugt ist, daß es ein anderer nicht hätte besser machen können. Die Geschichte zeigt aber, daß es doch ein Unterschied ist, ob in einer an sich verzweifelten Situation ein Herzog von Braunschweig die Armee führt oder ein Gneisenau.

 

Endlich ermahnen Sie uns noch, zu bedenken, daß außenpolitische Erfolge nur zu erzielen sind durch die Geschlossenheit, mit der sich die Nation hinter ihre Unterhändler stellt.

 

Herr Reichskanzler! Gewiß gab es eine Zeit, da war es die Pflicht jedes anständigen Menschen, sich hinter die Wahrer der deutschen Interessen zu stellen, die damals auf dem Schlachtfelde verteidigt wurden. In dieser furchtbarsten Zeit haben aber jene Parteien, auf die Sie sich heute stützen, diese Lehre überhaupt nicht befolgt!

 

Heute handelt es sich nun darum, diesen Saboteuren der deutschen Widerstandskraft endlich die Seele der Nation aus höchstem ‚vaterländischem Interesse‘ zu entreißen. Sie können von uns nicht erwarten, Herr Reichskanzler, daß wir etwa den Young-Plan decken, dessen Erfüllung Ihre Parteien als einen entscheidenden Fortschritt bejubelten, wir aber von Anfang an als Wahnsinn erkannten. Sie können auch heute nicht erwarten, daß ein wirklich verantwortungsbewußter Deutscher zu Vorgängen Ja und Amen sagen wird, die nach aller menschlichen und geschichtlichen Erfahrung ein Volk nur in weiteres Unglück stürzen müssen. Ich zweifle keinen Augenblick, Herr Reichskanzler, daß, wenn Friedrich der Große, Freiherr vom Stein oder Bismarck verdammt wären, die Politik der letzten 13 Jahre als simple Staatsbürger zu verfolgen, sie nicht in Ihrem zentrümlich-demokratisch-marxistischen Verein stünden, sondern in der nationalen Opposition.

 

Ihnen, Herr Reichskanzler, schreibt das Gewissen den Weg vor, uns die Einsicht. Ihnen gibt Ihr Gewissen vielleicht noch Kraft, Ihren aussichtslosen Weg fortzusetzen, uns aber beseelt der Wille, an Stelle der unterwürfigen Illusionspolitik und dem internationalen Schlagwort-Geflunker der letzten 13 Jahre Vernunft und Mut zu Regenten unseres deutschen Lebens zu erheben. Ich darf weiter mein Erstaunen darüber aussprechen, daß Sie, Herr Reichskanzler, nicht den Unterschied sehen wollen zwischen rein informatorischen Besprechungen, die Sie mit mir hatten, über die ich demgemäß auch schwieg, und einem Ansinnen, das die Partei als solche bestimmen sollte, eine parlamentarische Aktion mitzumachen in einer Zeit, in der in ganz Deutschland den Nationalsozialisten staatsbürgerliche Rechte brutal vorenthalten werden; Denken Sie nur etwa daran, wie Preußen nationalsozialistische Beamte behandelt, denken Sie an die amtlichen Unterdrückungen, Verdächtigungen und Verfolgungen aller Art gegenüber dem Nationalsozialismus, denken Sie an die vielen hundert niedergeschlagenen ehrlichen Kämpfer meiner Bewegung; denken Sie daran, daß auch das Reich durch sein Verbot, Nationalsozialisten auch nur als einfache Werft-Arbeiter einzustellen, den Verfolgungsfeldzug gegen den Nationalsozialismus fördert!

 

Daß Sie, Herr Reichskanzler, angesichts dieser Umstände mein Erstaunen, von Ihnen zu einer solchen parlamentarischen Aktion beigezogen zu werden, nicht begreifen wollen oder können, zeigt eben doch, wie grundverschieden Ihr Denken von dem meinen ist.

 

Herr Reichskanzler! Sie nehmen als gutes Recht den Glauben in Anspruch, daß es kein anderer hätte besser machen können als Sie. Versagen Sie dann aber auch uns das Recht nicht, überzeugt zu sein, daß es keine Regierung hätte schlechter machen können als die Ihre.

 

München, den 25. Januar 1932

Braunes Haus

Adolf Hitler

 

 

 

Brief an Adolf Hitler vom Reichskanzler Brüning

 

22. Januar 1932

Einschreiben!

Eilbrief!

 

Sehr geehrter Herr Hitler!

 

In Ihrem Auftrage überreichte mir am 16. ds. Mts. der Reichstagsabgeordnete Göring Ihre Denkschrift, in der Sie Ihre Ablehnung meiner Anregung eines verfassungsändernden Reichsgesetzes, betreffend die Verlängerung der Amtszeit des Herrn Reichspräsidenten, darlegen. Da Sie aus Gründen, mit denen ich nichts zu tun habe, Ihre Denkschrift veröffentlichten, sehe ich mich genötigt, meine Antwort gleichfalls der Allgemeinheit zugänglich zu machen.

 

Sie begründen Ihre Haltung mit verfassungsrechtlichen und mit politischen Bedenken. Ihre verfassungsrechtlichen Bedenken sind unbegründet. Sie gehen von nicht zutreffenden Voraussetzungen aus. Es hat sich niemals, wie Sie meinen, um ein ‚Aufheben‘ der die Wahl des Reichspräsidenten betreffenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung gehandelt. Niemals ist davon die Rede gewesen, daß der ‚verfassungsmäßig niedergelegte Hergang der Wahl des Reichsoberhauptes‘ verlassen werden sollte. Meine Absicht ging vielmehr von vornherein dahin, wie es Ihnen gegenüber klar zum Ausdruck gebracht ist, die Amtsdauer der geschichtlichen Gestalt des jetzigen Herrn Reichspräsidenten aus Gründen des Gesamtwohles des deutschen Volkes um eine gewisse Zeit im Wege der Gesetzgebung zu verlängern.

 

Die Frage, ob eine derartige Verlängerung der Amtsdauer des Herrn Reichspräsidenten verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, ist selbstverständlich von der Reichsregierung geprüft worden, bevor mit Ihnen in Verbindung getreten wurde. Nach dem Ergebnis dieser Prüfung ist die Verlängerung der Amtsdauer durch ein verfassungsänderndes Gesetz zulässig. Das ergibt sich aus Artikel 76 der Reichsverfassung, der ausdrücklich bestimmt, daß und in welchen Formen die gesetzgebenden Körperschaften die Verfassung ändern können. Der Satz: ‚Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden‘, ist allgemein gefaßt, und es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht in den Formen des verfassungsändernden Gesetzes von der Regelung des Artikel 43 Abs. 1 der Reichsverfassung, wonach das Amt des Reichspräsidenten sieben Jahre dauert, im Einzelfall sollte abgewichen werden können. Um ein solches verfassungsänderndes Gesetz, das übrigens die Bestimmung des Artikel 43 Abs. l der Reichsverfassung über die Amtsdauer des Reichspräsidenten als solche bestehen lassen würde, handelte es sich und nicht, wie Sie in Verkennung der Rechtslage anzunehmen scheinen, um eine ‚Wahl‘ des Reichspräsidenten durch den Reichstag, durch die der Reichspräsident ‚den wechselnden Zufällen parlamentarischer Majoritäten ausgeliefert werden würde‘. Die grundsätzliche Bestimmung des Artikel 41 Abs. l der Reichsverfassung, wonach der Reichspräsident vom ganzen deutschen Volk gewählt wird, würde also durch ein Gesetz, wie es die Reichsregierung im Auge hatte, in keiner Weise berührt, geschweige denn ‚aufgehoben‘ werden. Es geht deshalb auch fehl, wenn Sie meinen, daß man bei einer bloßen Verlängerung der Amtsdauer im Wege der Gesetzgebung folgerichtig auch ein Recht des Reichstages, den Reichspräsidenten abzusetzen, anerkennen müßte.

 

Schließlich darf nicht übersehen werden, daß zum Zustandekommen eines Reichsgesetzes die Beschlußfassung des Reichstages allein nicht genügt, und daß bei einem verfassungsändernden Gesetz, wie es hier in Frage gestanden hätte. nicht nur dem Reichspräsidenten, sondern auch dem Reichsrat das Recht zugestanden haben würde, das vom Reichstag beschlossene Gesetz zum Volksentscheid zu stellen.

 

Ihre politischen Argumente muß ich als unsachlich zurückweisen. Während meine Anregung in der Präsidentschaftsfrage ausschließlich von nationalen, überparteilichen Gesichtspunkten diktiert war, halten Sie mir eine ausschließlich von Ihrem parteipolitischen nationalsozialistischen Gesichtspunkt gesehene, in allgemeinen Wendungen sich ergehende Darstellung der deutschen Nachkriegsentwicklung entgegen. Diese Darstellung geht an den wichtigsten Vorgängen dieser Zeit vorbei. Ich bedauere dieses Nachspiel unserer einer großen nationalen Aufgabe gewidmeten Aussprache, muß aber zur Steuer der Wahrheit Ihren Theorien durch den Hinweis auf die Tatsachen entgegentreten.

 

Sie behaupten, meine Anregung in der Präsidentschaftsfrage habe letzten Endes die Erhaltung des ‚heutigen Systems‘ bezweckt. Dieses ‚System‘ habe in dreizehnjähriger planmäßiger Zerstörungsarbeit Deutschland zum Ruin geführt. Nur die Überwindung dieses ‚Systems‘ verspreche innere Gesundung und außenpolitische Erfolge. Deshalb müßten Sie sich meiner Anregung versagen.

 

Ich muß es ablehnen, mit Ihnen in eine Diskussion über Schlagwort-Begriffe einzutreten. Wer den Ernst einer schweren Aufgabe völlig erkennt, wird niemals Zuflucht zu einem Schlagwort nehmen. Vom vaterländischen Standpunkt aus muß ich es auffällig finden, daß Sie die Hauptursache der deutschen Not auf parteipolitische Verhältnisse zurückführen. Nach fast allgemeiner Auffassung ist ein außenpolitischer Tatbestand, der Versailler Vertrag mit seiner politischen und wirtschaftlich-finanziellen Ungerechtigkeit und Unvernunft, der entscheidende Grund unserer deutschen Not und zum großen Teil auch der Weltnöte. Die Bestimmungen und die Handhabung dieses Vertrages in den ersten fünf Jahren seiner Geltung haben alle deutschen Wiederaufbauversuche immer wieder zerstört, die deutsche Währung erschüttert und schließlich die Einheit des Reiches selbst bedroht. Wenn das Reich gerettet wurde, so ist das nur geschehen durch das Zusammenstehen aller Volksgenossen ohne Unterschied der Parteien.

 

Sie gehen an diesem wesentlich durch außenpolitische Verhältnisse geschaffenen Sachverhalt ebenso vorbei, wie Sie die heutige deutsche Wirtschaftsnot vom Standpunkt Ihrer Parteiideologie aus kurzer Hand dem von Ihnen bekämpften ‚System‘ zur Last legen. Auch hier verschließen Sie sich den Tatsachen. Eine ungeheure Wirtschaftskrise hat, wenn auch in verschiedenem Ausmaße, die meisten Länder der Erde erfaßt. Sachkundige Männer aller Länder haben sich über die Ursachen dieser Krise geäußert und führen sie auf gewaltige Strukturwandlungen zurück, die die Weltwirtschaft durch den Krieg selbst und seine Folgeerscheinungen erfahren hat. Die industriell fortgeschrittensten Länder trifft diese Krise am schärfsten durch die Geißel der Arbeitslosigkeit. Daß unter diesen Ländern Deutschland am härtesten erfaßt wurde, ist die Folge davon, daß der deutsche Wirtschaftskörper durch die Blutentziehungen des Versailler Vertrages in seiner eben gekennzeichneten langjährigen Handhabung sowie durch die Reparationsleistungen in seiner Widerstandskraft besonders geschwächt war.

 

Ich muß Sie deshalb davor warnen, diese Dinge ausschließlich von Ihrem parteipolitischen Gesichtspunkt aus darzustellen. Auch eine Reichsregierung, die eine Ihrer Auffassung entsprechende Zusammensetzung hätte, stünde vor den genannten wirtschaftlichen Tatsachen und müßte auf dem Wege weiterschreiten, der der von mir geleiteten Regierung durch eben diese Tatsachen aufgenötigt worden ist. Wenn Sie im übrigen meine Anregung in der Präsidentschaftsfrage als ein Produkt der Angst des ‚Systems‘ vor der politischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bezeichnen, so können Sie damit meine Mitarbeiter und mich nicht treffen. Durch das Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten auf unseren Posten gestellt, tun wir nach besten Kräften unsere Pflicht. Wir kennen nur ein Ziel: Rettung des Vaterlandes aus seiner großen Not. Über unsere Erfolge steht jedem das Urteil frei. Unser gutes Gewissen aber lassen wir uns von niemand bestreiten. Es gibt uns die Kraft, ohne Furcht den Weg zu gehen, den es uns vorschreibt.

 

Wir scheuen daher auch das Urteil des deutschen Volkes über unsere Maßnahmen nicht. Wenn Sie die von Ihnen gewünschte Beseitigung des ‚herrschenden Systems‘ als einen außenpolitischen Gewinn Deutschlands bewerten zu sollen glauben, so muß ich Ihnen die Verantwortung für diesen Angriff auf eine Regierung, die alle Kraft an die Besserung der Lage des deutschen Volkes in den kommenden Verhandlungen zu setzen entschlossen ist, überlassen. Es muß Ihnen bekannt sein, wie die ganze Arbeit dieser Regierung von dem Primat der Außenpolitik beherrscht wird. Ebenso aber werden Sie nicht leugnen wollen, daß der außenpolitische Erfolg zum Teil durch die Geschlossenheit bedingt ist. mit der die Nation hinter ihren Unterhändlern steht. Ich kann nur bedauern, daß Sie selbst in dieser kritischen Lage nicht die Folgerung aus dieser Wahrheit ziehen, die sich von selbst ergibt.

 

Wenn Sie zum Schluß meine Fühlungnahme mit Ihnen als dem Führer einer, wie Sie sagen, jahrelang verfemten Partei vom Gesichtspunkt der Moral aus beanstanden, so kann ich Ihnen nur erwidern, daß es nicht das erste Mal war, daß ich mit Ihnen politische Probleme besprach, und daß es andererseits sich für mich von selbst verstand, daß ich mich in einer die ganze Nation tief bewegenden Frage, auch mit dem Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei unmittelbar in Verbindung setzte.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

Brüning