Memorandum an die britische Regierung zur Polenkrise
Note der deutschen Regierung an die britische Regierung! 29. August 1939
Der Königlich Britische Botschafter in Berlin hat der Königlich Britischen Regierung Anregungen übermittelt, die ich vorschlagen zu müssen glaubte, um 1. dem Willen der Reichsregierung nach einer aufrichtigen deutsch-englischen Verständigung, Zusammenarbeit und Freundschaft noch einmal Ausdruck zu geben; 2. keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, daß eine solche Verständigung nicht erkauft werden könnte mit dem Verzicht auf lebenswichtige deutsche Interessen oder gar einer Preisgabe von Forderungen, die ebenso im allgemeinen menschlichen Recht wie in der nationalen Würde und der Ehre unseres Volkes begründet sind.
Mit Befriedigung hat die Deutsche Regierung aus dem Antwortschreiben der Königlich Britischen Regierung und den mündlichen Erläuterungen des Königlich Britischen Botschafters entnommen, daß die Königlich Britische Regierung auch ihrerseits bereit ist, das deutsch-englische Verhältnis zu bessern, es im Sinne der deutschen Anregungen zu entwickeln und auszubauen.
Die Königlich Britische Regierung ist dabei ebenfalls überzeugt, daß die Lösung der unerträglich gewordenen deutsch-polnischen Spannung die Voraussetzung für eine Realisierung dieser Hoffnung ist.
Seit dem Herbst des vergangenen Jahres und zuletzt im März 1939 wurden der Polnischen Regierung mündlich und schriftlich Vorschläge unterbreitet, die unter der Berücksichtigung der damals zwischen Deutschland und Polen bestehenden Freundschaft eine für beide Teile annehmbare Lösung der strittigen Fragen ermöglichen konnten. Es ist der Königlich Britischen Regierung bekannt, daß die Polnische Regierung glaubte, diese Vorschläge im März dieses Jahres endgültig ablehnen zu müssen. Sie hat diese Ablehnung zugleich zum Vorwand oder Anlaß genommen, militärische Maßnahmen zu treffen, die seitdem eine fortgesetzte Steigerung erfuhren. Schon in der Mitte des vergangenen Monats hat der Polnische Staat tatsächlich mobil gemacht. In Verbindung damit haben zahlreiche Übergriffe in der Freien Stadt Danzig stattgefunden, hervorgerufen durch polnische Behörden, mehr oder weniger drohende ultimative Forderungen wurden an diese Stadt gerichtet. Die Verhängung einer erst zollpolitisch durchgeführten, nunmehr aber auch militärisch und verkehrstechnisch erweiterten Grenzsperre mit dem Ziel der politischen Zermürbung und wirtschaftlichen Zerstörung dieses deutschen Gemeinwesens fand statt. Hinzu kommen himmelschreiende, barbarische Mißhandlungen und sonstige Verfolgungen der großen deutschen Volksgruppe in Polen, die bis zur Tötung vieler dort lebender Deutschen oder zur Verschleppung unter grausamsten Begleitumständen führten.
Diese Zustände sind für eine Großmacht unerträglich. Sie haben Deutschland gezwungen, nach monatelangem Zusehen nunmehr ebenfalls die notwendigen Schritte zur Wahrung der berechtigten deutschen Interessen zu ergreifen. Und die Deutsche Reichsregierung kann der Britischen Regierung nur auf das ernsteste versichern, daß nunmehr jener Zustand erreicht ist, der ein weiteres Hinnehmen oder auch nur Zusehen ausschließt.
Die Forderung der Deutschen Reichsregierung entspricht der von Anfang an als notwendiger kannten Revision des Versailler Vertrages in diesem Gebiet; Rückkehr von Danzig und dem Korridor zu Deutschland, Sicherung des Lebens der deutschen Volksgruppen in den restlich Polen verbleibenden Gebieten.
Die Deutsche Reichsregierung nimmt mit Befriedigung Kenntnis, daß auch die Königlich Britische Regierung im grundsätzlichen überzeugt ist, daß die entstandene Lage einer Lösung entgegengeführt werden muß. Sie glaubt weiter annehmen zu dürfen, daß sich auch die Königlich Britische Regierung keinem Zweifel darüber hingibt, daß es sich hier nicht mehr um Zustände handelt, zu deren Beseitigung Tage oder gar Wochen, sondern vielleicht nur Stunden zur Verfügung stehen. Denn es ist in jedem Augenblick angesichts der desorganisierten Verhältnisse in Polen mit der Möglichkeit des Eintretens von Akten zu rechnen, die hinzunehmen für Deutschland unmöglich sein könnte.
Wenn die Königlich Britische Regierung noch immer glaubt, daß diese schwerwiegenden Differenzen auf dem Wege direkter Verhandlungen zu lösen seien, so kann die Deutsche Reichsregierung diese Auffassung von vornherein leider nicht mehr teilen.
Denn sie hat ja versucht, den Weg einer solchen friedlichen Verhandlung einzuleiten, wurde aber dabei von der Polnischen Regierung nicht unterstützt, sondern durch brüsk eingeleitete Maßnahmen militärischen Charakters im Sinne der schon angedeuteten Entwicklung abgewiesen.
Die Königlich Britische Regierung sieht zwei Momente als wichtig an: 1. daß durch direkte Verhandlungen schnellstens die vorhandene Gefahr einer drohenden Entladung beseitigt wird, und daß 2. der Existenz des im übrigen dann fortbestehenden Polnischen Staates durch internationale Garantien wirtschaftlich und politisch die notwendige Sicherung gegeben wird.
Die Deutsche Reichsregierung hat dazu folgende Erklärung abgegeben: Trotz ihrer skeptischen Beurteilung der Aussichten solcher direkter Besprechungen will sie dennoch den englischen Vorschlag akzeptieren und in diese eintreten. Sie tut dies ausschließlich unter dem Eindruck der - wie schon betont - ihr zugegangenen schriftlichen Mitteilung der Königlich Britischen Regierung, daß auch diese ein Freundschaftsabkommen unter Zugrundelegung der dem Botschafter Henderson gegebenen Anhaltspunkte wünscht. Die Deutsche Regierung will dadurch der Königlich Britischen Regierung und dem englischen Volk einen Beweis für die Aufrichtigkeit der deutschen Absicht, zu einer dauernden Freundschaft mit Großbritannien zu kommen, geben.
Die Reichsregierung muß die Britische Regierung pflichtgemäß aber darauf hinweisen, daß sie im Falle einer Neugestaltung der territorialen Verhältnisse in Polen nicht mehr in der Lage wäre, ohne Hinzuziehung der Sowjet-Union sich zu Garantien zu verpflichten oder an Garantien teilzunehmen.
Im übrigen hat die Deutsche Reichsregierung bei ihren Vorschlägen nie die Absicht gehabt, lebenswichtige Interessen Polens anzugreifen oder die Existenz eines unabhängigen Polnischen Staates in Frage zu stellen. Die Deutsche Reichsregierung ist unter diesen Umständen daher damit einverstanden, die vorgeschlagene Vermittlung der Königlich Britischen Regierung zur Entsendung einer mit allen Vollmachten versehenen polnischen Persönlichkeit nach Berlin anzunehmen. Sie rechnet mit dem Eintreffen dieser Persönlichkeit für Mittwoch, den 30. August 1939.
Die Reichsregierung wird die Vorschläge einer für sie akzeptablen Lösung sofort ausarbeiten und diese wenn möglich bis zur Ankunft des polnischen Unterhändlers auch der Britischen Regierung zur Verfügung stellen. |