Memorandum zur Sudetenkrise
23. September 1938
Die von Stunde zu Stunde sich mehrenden Nachrichten über Zwischenfälle im Sudetenlande beweisen, daß die Lage für das Sudetendeutschtum völlig unerträglich und damit zu einer Gefahr für den europäischen Frieden geworden ist. Es ist daher unerläßlich, daß die von der tschecho-slowakischen Regierung anerkannte Abtrennung des Sudetenlandes nunmehr ohne jede weitere Verzögerung erfolgt.
Auf beiliegender Karte (Karte wird von der Delegation mitgebracht) ist das abzutrennende sudetendeutsche Gebiet rot schraffiert. Die Gebiete, in denen über die zu besetzenden Gebiete hinaus ebenfalls noch abgestimmt werden muß, sind grün schraffiert eingezeichnet. Die endgültige Grenzziehung muß dem Willen der Betroffenen entsprechen.
Um diesen Willen festzustellen, ist eine gewisse Zeit zur Vorbereitung der Wahl erforderlich, während der Unruhen unter allen Umständen verhindert werden müssen. Es muß eine paritätische Situation geschaffen werden.
Das in der anliegenden Karte bezeichnete deutsche Gebiet wird von deutschen Truppen besetzt ohne Rücksicht darauf, ob sich bei der Volksabstimmung vielleicht in diesem oder jenem Teil des Gebietes eine tschechische Mehrheit herausstellt. Andererseits ist das strittige Gebiet von tschechischen Truppen besetzt ohne Rücksicht darauf, daß innerhalb dieses Gebietes große deutsche Sprachinseln liegen, die bei der Volksabstimmungsich ohne Zweifel in der Mehrheit zum deutschen Volkstum bekennen werden. Zur sofortigen und endgültigen Vereinigung des sudetendeutschen Problems werden daher nunmehr von der deutschen Regierung folgende Vorschläge gemacht:
1. Zurückziehung der gesamten tschechischen Wehrmacht, der Polizei, der Gendarmerie, der Zollbeamten und der Grenzer aus dem auf der übergebenen Karte bezeichneten Räumungsgebiet, das am 1. Oktober an Deutschland übergeben wird.
2. Das geräumte Gebiet ist in dem derzeitigen Zustand zu übergeben. (Siehe nähere Anlage.) Die deutsche Regierung ist damit einverstanden, daß zur Regelung der Einzelheiten, der Modalitäten der Räumung ein mit Vollmachten ausgestatteter Vertreter der tschechischen Regierung oder des tschechischen Heeres zum deutschen Oberkommando der Wehrmacht tritt.
3. Die tschechische Regierung entläßt sofort alle sudetendeutschen Wehrmachts- und Polizeiangehörigen aus dem gesamten tschechischen Staatsgebiet in ihre Heimat.
4. Die tschechische Regierung entläßt alle wegen politischer Vergehen inhaftierten deutschstämmigen Gefangenen.
5. Die deutsche Regierung ist einverstanden, in den näher zu bezeichnenden Gebieten bis spätestens 25. November eine Volksabstimmung stattfinden zu lassen. Die aus dieser Abstimmung sich ergebenden Korrekturen der neuen Grenze werden durch eine deutsch-tschechische oder eine internationale Kommission bestimmt. Die Abstimmung selbst findet unter der Kontrolle einer internationalen Kommissionstatt. Abstimmungsberechtigt sind alle in den in Frage kommenden Gebieten am 28. Oktober 1918 wohnhaften oder bis zum 28. Oktober 1918 dort geborenen Personen. Als Ausdruck des Wunsches der Zugehörigkeit der Bevölkerung zum Deutschen Reich oder zum tschechischen Staat gilt die einfache Mehrheit aller männlichen und weiblichen Abstimmungsberechtigten. Zur Abstimmung wird aus den näher zu bezeichnenden Gebieten auf beiden Seiten das Militär zurückgezogen. Zeitpunkt und Dauer bestimmen die deutsche und tschechische Regierung gemeinsam.
6. Zur Regelung aller weiteren Einzelheiten schlägt die deutsche Regierung die Bildung einer autorisierten deutsch-tschechischen Kommission vor.
Anlage
Die Übergabe des geräumten sudetendeutschen Gebietes hat zu erfolgen ohne jede Zerstörung oder Unbrauchbarmachung von militärischen, wirtschaftlichen und Verkehrsanlagen; dazu gehören desgleichen die Bodenorganisation des Flugwesens, ebenso alle Funkanlagen.
Das in den bezeichneten Gebieten befindliche wirtschaftliche und Verkehrsmaterial, insbesondere das rollende Material des Eisenbahnnetzes, sind unbeschädigt zu übergeben.
Das Gleiche gilt für alle Versorgungsmittel (Gasanstalten, Kraftwerke usw.). Endlich ist jeder Abtransport von Lebensmitteln, Gütern, Vieh, Rohstoffen usw. zu unterlassen. |