Berlin, den 30. Sept. 1939

Der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht

OKW. Nr. 171/39

g. K. Chefs. WFA/L I

 

Geheime Kommandosache

Chef Sache

Nur durch Offizier

 

8 Ausfertigungen

2. Ausfertigung

 

Weisung Nr. 5 für die Kriegsführung

 

1.) Nach Abschluß des Grenz- und Freundschaftsvertrages mit Rußland vom 28.9.39 ist es beabsichtigt, die politische Gestaltung des ehemaligen polnischen Gebietes innerhalb des deutschen Interessenbereiches nach folgenden Richtlinien zu regeln:

 

a) Die neue politische Begrenzung des Reiches im Osten wird im allgemeinen den früheren deutschen Siedlungsraum und darüber hinaus diejenigen Gebiete umschließen, die militärisch, wehrwirtschaftlich oder verkehrstechnisch besonders wertvoll sind. Die Linienführung liegt im einzelnen noch nicht fest. Vorschläge hierzu bitte ich, mir über OKW. vorzulegen.

 

b) Die bisherige Demarkationslinie (Pisia - Narew - Weichsel - San) wird als militärische Sicherungslinie gegenüber dem Osten durch ständigen Ausbau verstärkt werden. Die dazu erforderlichen Standorte werden auch auf die Dauer über die politische Reichsgrenze hinaus vorzuschieben sein. Für die Führung der Sicherungslinie im einzelnen bitte ich, mir ebenfalls Vorschläge über OKW. vorzulegen.

 

c) Die nach dem Grenz- und Freundschaftsvertrag mit Rußland festgelegte Linie, die im einzelnen noch durch ein Zusatzprotokoll bestimmt werden soll, ist als Abgrenzung des deutschen Interessenbereiches gegenüber Rußland vorgesehen.

 

d) Die staatspolitische Gestaltung des zwischen dieser und der neuen politischen Grenze des Deutschen Reiches liegenden Raumes behalte ich mir vor.

 

2.) Das gesamte Gebiet des ehemaligen polnischen Staates bis zu der laut Grenz- und Freundschaftsvertrag mit Rußland bestimmten Linie einschließlich des Suwalki-Zipfels wird zunächst als Militärverwaltungsgebiet unter dem Ob. d. H. eingerichtet. Ich bitte den Ob. d. H., mir baldigst diejenigen Maßnahmen vorzuschlagen, die vorgesehen sind:

a) für die Befriedung der neu zu besetzenden Gebiete. Zeitliche Regelung im Anschluß an die in Moskau getroffenen Vereinbarungen;

b) für die Besetzung der Sicherungslinie im Zuge der bisherigen Demarkationslinie;

c) für die Besetzung des Gesamtgebietes durch die Besatzungstruppe. Hierbei ist ostwärts der militärischen Sicherungslinie nach Durchführung der Befriedung mit einem Mindestmaß von Kräften auszukommen. Ob. d. L. beläßt die zur Durchführung dieser Aufgaben des Ob. d. H. benötigten Kräfte im Osten;

d) für die Unterteilung des Militärverwaltungsgebietes in Bezirke, bezw. die Ausdehnung der bisherigen militärischen Verwaltungsbezirke auf die neu hinzugekommenen Gebiete.

 

3.) Auf Grund der letzten politischen Entwicklung erübrigt es sich, die gemäß Weisung Nr. 4, Ziffer 4.), letzter Satz, in Ostpreußen vorgesehenen Kräfte bereitzustellen.

 

4.) Die bisherigen Einschränkungen des Seekrieges gegen Frankreich kommen in Fortfall. Der Seekrieg gegen Frankreich ist ebenso wie gegen England zu führen. Der Handelskrieg ist im allgemeinen nach Prisenordnung zu führen mit folgenden Ausnahmen: Einwandfrei als feindlich erkannte Handelsschiffe und Truppentransporter dürfen warnungslos angegriffen werden. Dasselbe gilt für abgeblendet fahrende Schiffe in den Gewässern um England. Gegen Handelsschiffe, die nach dem Anhalten von ihrer Sendeeinrichtung Gebrauch machen, ist mit Waffengewalt vorzugehen. Der Angriff auf ‚Passagierdampfer‘ oder solche größeren Dampfer, die offensichtlich neben Handelswaren Passagiere in größerem Umfange befördern, hat nach wie vor zu unterbleiben.

 

5.) Für die Luftkriegführung im Westen bleiben die bisherigen Einschränkungen bestehen. Das Überfliegen der Reichsgrenze ist zur Nah- und Gefechtsaufklärung, zum Angriff gegen feuerleitende Flugzeuge, Fesselballone sowie für die Fernaufklärung des Ob. d. L. in beschränkter Form freigegeben. Wünschen für die Fernaufklärung des Heeres ist hierbei durch unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Heer und Luftwaffe (Luftwaffenkommandos) Rechnung zu tragen. Weiterhin sind der Luftwaffe Angriffshandlungen in der Nordsee gegen in See befindliche englische und französische Seestreitkräfte sowie der Handelskrieg nach Prisenordnung freigegeben.

 

6.) Die Anordnungen der Ziffern 4.) und 5.) treten anstelle der Ziffern 5 b, c und 7 der Weisung Nr. 4 für die Kriegführung.

 

Adolf Hitler

 

Für die Richtigkeit:

Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht

Keitel

 

Verteiler:

OKH 1. Ausf.

OKM 2. Ausf.

R. d. L. u. Ob. d. L. 3. Ausf.

OKW

Chef WFA 4. Ausf.

L 5.-8. Ausf.