Brief an Staatssekretär Otto Meissner

 

Den Brief von Otto Meissner an Adolf Hitler vom 24. November 1932

 

23. November 1932

Sehr verehrter Herr Staatssekretär!

 

Die Antwort auf Ihr gestriges Schreiben darf ich mir erlauben, in drei Punkten zusammenzufassen:

 

A. Ihrer Definition des Sinnes und Wesens eines Präsidialkabinetts habe ich Folgendes entgegenzuhalten: Die Behauptung, daß das Präsidialkabinett überparteilicher sein könnte als ein parlamentarisches, widerlegt sich erstens aus der Art des Werdens eines solchen Kabinetts und zweitens aus der Begrenzung seiner Arbeitsfähigkeit sowohl, als auch aus der dabei angewandten Methode. Wenn ein Präsidialkabinett mit dem Artikel 48 zu regieren gezwungen ist, dann benötigt es - wie Sie selbst zugeben - wenn auch nicht die vorherige Zustimmung, dann aber um so mehr die nachträgliche Billigung einer parlamentarischen Mehrheit. Diese parlamentarische Mehrheit wird sich bei der Art unseres ganzen Verfassungslebens immer in Parteien ausdrücken. Damit ist es genau so abhängig von einer Parteienmehrheit, wie auch das parlamentarische Kabinett. Damit muß der ein solches Kabinett führende Staatsmann genauso das Vertrauen der Mehrheit des Reichstags entweder besitzen oder erobern, als er selbstverständlich das Vertrauen des Reichspräsidenten benötigt. Im übrigen ist neuerdings durch ein Urteil des Staatsgerichtshofs die Anwendung des Artikels 48 auf ganz bestimmte Fälle und begrenzte Zeiten beschränkt worden, so daß eine allgemeine Erfüllung der Regierungspflichten auf diesen Artikel allein nicht mehr gestützt werden kann. Es ist daher in der Zukunft die Aufgabe eines Kanzlers, der - unter dem Druck der Not und der ihrethalben zu treffenden Entschlüsse - die Schwerfälligkeit des parlamentarischen Vorgehens als gefährliche Hemmung ansieht, sich eine Mehrheit für ein aufgabenmäßig begrenztes und zeitlich fixiertes Ermächtigungsgesetz zu sichern. Die Aussicht auf den Erfolg eines solchen Versuchs wird um so größer sein, je autoritärer auf der einen Seite die Position dieses Mannes ist und je schwerer auf der anderen die an sich schon in seinen Händen befindliche parlamentarische Macht in die Waage fällt.

 

Ob ein Regierungsprogramm parteilich oder überparteilich erscheint, spielt keine Rolle. Wesentlich hingegen ist, daß es richtig ist und daß es zum Erfolge führt. Ich protestiere dagegen, daß ein an sich richtiges Programm etwa deshalb nicht durchgeführt werden könnte, weil es Eigentum und Gedankengut einer Partei ist und mithin von einer Präsidialregierung, die überparteilichen Charakter besitzen müsse, abzulehnen sei. Da im allgemeinen Programme immer Menschen anziehen werden, die dann zusammengefaßt zwangsläufig als Parteien in Erscheinung treten, könnten also in Zukunft nur solche Programme Verwendung finden, die hinter sich, um den überparteilichen Charakter zu wahren, auch keine Anhänger haben. Wie man dafür aber eine parlamentarische Mehrheit zur Tolerierung erreichen will, ist mir ein Rätsel, an dessen Lösung auch Herr von Papen scheiterte. Ich habe demgegenüber erklärt, daß ich eine solche Art von Führung ablehne, weil sie zwangsläufig im Nichts endet und höchstens als letzten Schutz die Bajonette besitzt. Ich habe weiter die Überzeugung vertreten, daß es mir unter der Voraussetzung des Vertrauens des Herrn Reichspräsidenten am ehesten gelingen wird, eine solche Katastrophe zu vermeiden, weil sich immerhin zwei Drittel der zur Tolerierung nötigen Zahl von Abgeordneten schon in meiner Partei allein befinden. Der Schritt von 200 Abgeordneten zu 300 wird leichter sein, als der von 50 oder 60 zu 200.

 

B. Sie teilen mir, Herr Staatssekretär, mit, daß der Herr Reichspräsident nunmehr eine hundertprozentig parlamentarische Lösung wünsche. Das heißt, ich solle erst mit den Parteien ein Programm vereinbaren, dafür eine Mehrheit suchen und dann die Regierungsbildung rein parlamentarisch auf Grund dieser Mehrheit in die Wege leiten. Zunächst muß ich hier schon bemerken, daß man mir diese Aufgabe vor dem 12. September 1932 hätte stellen sollen. Sie wäre damals wirklich leichter zu lösen gewesen! Sie kann aber überhaupt nicht gelöst werden, wenn die Stellung dieses Auftrags mit Bedingungen verbunden ist, die die Lösung an sich verhindern. Denn wenn schon der nurparlamentarische Weg beschritten werden soll, dann können dafür aber auch keine anderen Voraussetzungen zur Auflage gemacht werden, als die in der Weimarer Verfassung selbst gegebenen. Danach ist in erster Linie die parlamentarische Mehrheit maßgebend (Artikel 54) sowohl für die Beauftragung mit der Regierungsbildung, als auch für die Zusammensetzung des Kabinetts und für das Regierungsprogramm.

 

Voraussetzungen von anderer Seite können nur insoweit aufgestellt werden, als sie der Verfassung entsprechen. Da der Reichspräsident den Reichskanzler und die Reichsminister ernennt, hat er selbstverständlich die letzte Entscheidung über die Ministerliste. Aber nicht zu vereinbaren mit der Artikel 53 der Verfassung wäre dann die Voraussetzung, daß die Besetzung des Auswärtige Amtes und des Reichswehministeriums Sache der persönlichen Entscheidung des Reichspräsidenten sei. Auch der Reichsaußen- und der Reichswehrminister können nur auf Vorschlag de Reichskanzlers ernannt werden. Denn nur so ist es dann diesem überhaupt möglich, die Richtlinien der inneren und äußeren Politik zu bestimmen, für die er doch gemäß dem Artikel 561 dem Reichstag gegenüber die Verantwortung zu tragen hat. Daran würde auch die Tatsache nichts ändern, daß der Reichspräsident das Reich völkerrechtlich vertritt, im Namen des Reichs Bündnisse und andere Verträge mit auswärtigen Mächten abschließt, die Gesandten beglaubigt und empfängt (Artikel 45), und daß er den Oberbefehl über die gesamte Wehrmacht des Reiches ausübt (Artikel 47). Denn alle Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten auch auf dem Gebiet der Wehrmacht, bedürfen nach der Verfassung für ihre Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister (Artikel 50).

 

Festlegung des Wirtschaftsprogramms, keine Wiederkehr des Dualismus zwischen Reich und Preußen, keine Einschränkung des Artikels 48, das sind alles Voraussetzungen, die bei einem parlamentarischen Mehrheitskabinett dem Reichspräsidenten nur nach Maßgabe der Artikel 68 ff über die Reichsgesetzgebung zustehen.

 

Wenn Sie nun, sehr verehrter Herr Staatssekretär, erklären, nach der bisher von dem Herrn Reichspräsidenten und seinem Amtsvorgänger geübten Staatspraxis seien jedem Kabinett grundsätzliche Forderungen auferlegt worden, so darf ich Ihnen darauf Folgendes erwidern:

 

1.) Noch nie in diesem Sinn und in diesem Umfang;

2.) noch nie war die katastrophale Lage Deutschlands innen-, außenpolitisch und insbesondere wirtschaftlich so wie heute, und daher noch nie die volle Autorität eines Reichskanzlers nötiger als jetzt und 3.) darf ich doch auch darauf hinweisen, daß noch zu keiner Zeit so schwere Eingriffe in das parlamentarische Regierungssystem vorgenommen wurden, wie unter dem Präsidialkabinett des Herrn von Papen, die ich nun nachträglich den Parteien zur parlamentarischen Behandlung, und zwar zur Tolerierung und Billigung, vorlegen soll. Parteien, die diese Maßnahmen aus Selbsterhaltungstrieb einst aufs schärfste bekämpft haben! Und das alles in einem Zeitpunkt, in dem man die Position dieser Parteien noch dadurch stärkt, daß man erstens erklärt, ich besäße das besondere Vertrauen des Herrn Reichspräsidenten nicht, und sei zweitens deshalb befohlen, den reinen parlamentarischen Koalitionsweg zu gehen!

 

C. Sie schreiben, sehr verehrter Herr Staatssekretär, daß bei den Vorbesprechungen mit den anderen Parteiführern bereits deren Bereitwilligkeit geklärt worden sei, auf diese Vorbehalte einzugehen. Diese Erklärungen, Herr Staatssekretär, liegen jedenfalls nicht schriftlich vor. Aus der Besprechung, die der Reichstagspräsident Göring (vor der Erteilung des Auftrags des Herrn Reichspräsidenten an mich) mit anderen Parteien hatte, geht das Gegenteil hervor. Die Auslassung einer für eine Koalitionsmehrheit nötigen Partei (Bayerische Volkspartei) in ihrer offiziellen Parteikorrespondenz besagt das Gleiche. Die Zusicherung nun, daß ich im Fall des Scheiterns meiner Verhandlungen dem Herrn Reichspräsidenten ja die Gründe mitteilen könnte, ändert gar nichts an der Tatsache, daß man einfach mit Recht feststellen würde, die Erfüllung eines übernommenen Auftrages sei mir nicht gelungen.

 

Die Folgerungen, die sich daraus für die nationalsozialistische Bewegung und damit auch für das ganze deutsche Volk ergeben würden, liegen auf der Hand. Ich habe in redlichstem Bemühen Auftrag und Bedingungen immer wieder miteinander verglichen, bin aber genauso, wie meine sämtlichen Mitarbeiter, zu der Überzeugung gekommen, daß dieser Auftrag infolge seines inneren Widerspruchs in sich undurchführbar ist. Ich habe daher davon abgesehen, in diesen Tagen mit einer Partei Fühlung zu nehmen, und bitte Sie deshalb, Herr Staatssekretär, seiner Excellenz, dem hochverehrten Herrn Reichspräsidenten, folgende ehrerbietigste Meldung übermitteln zu wollen: Den mir am Montag, den 21. des Monats vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrag kann ich infolge seiner inneren Undurchführbarkeit nicht entgegennehmen und lege ihn daher in die Hand des Herrn Reichspräsidenten zurück.

 

Angesichts der trostlosen Lage unseres Vaterlandes, der immer steigenden Not und der Verpflichtung für jeden einzelnen Deutschen, sein Letztes zu tun, damit Volk und Reich nicht im Chaos versinken, möchte ich nach wie vor dem ehrwürdigen Herrn Reichspräsidenten und Feldmarschall des Weltkriegs die nationalsozialistische Bewegung mit dem Glauben, der Kraft und der Hoffnung der deutschen Jugend zur Verfügung stellen. Ich schlage daher unter vollständiger Umgehung aller immer nur verwirrenden Begriffe folgenden positiven Weg vor:

 

1.) Der Herr Reichspräsident fordert mich auf, vom Tage der Auftragserteilung an binnen 48 Stunden ein kurzes Programm über die beabsichtigten innen-, außen- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen vorzulegen.

 

2.) Ich werde nach Billigung dieses Programms binnen 24 Stunden dem Herrn Reichspräsidenten eine Ministerliste vorlegen.

 

3.) Ich werde neben anderen aus der derzeitigen Regierung zu übernehmenden Ministern dem Herrn Reichspräsidenten selbst für das Reichswehrministerium als seinen mir bekannten persönlichen Vertrauensmann General von Schleicher, für das Reichsaußenministerium Freiherrn von Neurath vorschlagen.

 

4.) Der Herr Reichspräsident ernennt mich darauf zum Reichskanzler und bestätigt die von mir vorgeschlagenen und von ihm anerkannten Minister.

 

5.) Der Herr Reichspräsident erteilt mir den Auftrag, für dieses Kabinett die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zur Arbeit zu schaffen, und gibt mir zu dem Zweck jene Vollmachten, die in so kritischen und schweren Zeiten auch parlamentarischen Reichskanzlern nie versagt worden sind.

 

6.) Ich verspreche, daß ich unter vollem Einsatz meiner Person und meiner Bewegung mich aufopfern will für die Rettung unseres Vaterlandes. Indem ich Ihnen, sehr verehrter Herr Staatssekretär, für diese Übermittlung danke, verbleibe ich in vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener

Adolf Hitler

 

 

 

Brief von Staatssekretär Otto Meissner an Hitler

 

24. November 1932

 

Sehr verehrter Herr Hitler!

 

Auf Ihr gestriges Schreiben beehre ich mich, Ihnen im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten folgendes zu erwidern:

 

1. Der Herr Reichspräsident nimmt Ihre Antwort zur Kenntnis, daß Sie den Versuch der Bildung einer parlamentarischen Mehrheitsregierung nicht für aussichtsreich halten und deshalb den Ihnen erteilten Auftrag zurückgeben. Zu der von Ihnen für diese Ablehnung gegebenen Begründung läßt der Herr Reichspräsident bemerken, daß er gerade nach den Ausführungen der Führer des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei, aber auch nach Ihren eigenen Ausführungen in der Besprechung vom 19. November im Gegenteil annehmen mußte, daß eine Mehrheitsbildung im Reichstag möglich war. Einen „inneren Widerspruch“ in seinem Auftrag vermag der Herr Reichspräsident um so weniger anzuerkennen, als in meinem erläuternden Schreiben vom 22. November ausdrücklich auf die Möglichkeit einer weiteren Rücksprache hingewiesen war, falls eine der von dem Herrn Reichspräsidenten erwähnten Voraussetzungen sich als ein entscheidendes Hindernis bei Ihren Verhandlungen erweisen sollte.

 

2. Der Herr Reichspräsident dankt Ihnen, sehr verehrter Herr Hitler, für Ihre Bereitwilligkeit, die Führung eines ‚Präsidialkabinetts‘ zu übernehmen. Er glaubt aber, es vor dem deutschen Volke nicht vertreten zu können, dem Führer einer Partei seine präsidialen Vollmachten zu geben, die immer erneut ihre Ausschließlichkeit betont hat, und die gegen ihn persönlich wie auch gegenüber den von ihm für notwendig erachteten politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen überwiegend verneinend eingestellt war. Der Herr Reichspräsident muß unter diesen Umständen befürchten, daß ein von Ihnen geführtes Präsidialkabinett sich zwangsläufig zu einer Parteidiktatur mit allen ihren Folgen für eine außerordentliche Verschärfung der Gegensätze im deutschen Volke entwickeln würde, die herbeigeführt zu haben er vor seinem Eid und seinem Gewissen nicht verantworten könnte.

 

3. Nachdem Sie zum lebhaften Bedauern des Herrn Reichspräsidenten sowohl in den bisherigen Besprechungen mit ihm als auch in Ihrer gestrigen, mit seinem Wissen geführten Unterhaltung mit dem Herrn Reichswehrminister General von Schleicher jede andere Art der Mitarbeit innerhalb oder außerhalb einer neu zu bildenden Regierung – gleichgültig, unter welcher Führung diese Regierung auch stehen möge – mit aller Entschiedenheit abgelehnt haben, verspricht sich der Herr Reichspräsident von weiteren schriftlichen oder mündlichen Erörterungen über diese Frage keinen Erfolg.

 

Unabhängig hiervon wiederholt der Herr Reichspräsident aber seine Ihnen in der letzten Besprechung am Montag abgegebene Erklärung, daß seine Tür jederzeit für Sie offen stehe, und wird immer bereit sein, Ihre Auffassung zu den schwebenden Fragen anzuhören; denn er will die Hoffnung nicht aufgeben, daß es auf diesem Wege mit der Zeit doch noch gelingen werde, Sie und Ihre Bewegung zur Zusammenarbeit mit allen anderen aufbauwilligen Kräften der Nation zu gewinnen.

 

Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung verbleibe ich, sehr verehrter Herr Hitler,

Ihr sehr ergebener

Dr. Meissner