Erlaß zur Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren

 

 

Ein Jahrtausend lang gehörten zum Lebensraum des deutschen Volkes die böhmisch-mährischen Länder. Gewalt und Unverstand haben sie aus ihrer alten historischen Umgebung willkürlich gerissen und schließlich durch ihre Einfügung in das künstliche Gebilde der Tschecho-Slowakei den Herd einer ständigen Unruhe geschaffen. Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich die Gefahr, daß aus diesem Raume heraus - wie schon einmal in der Vergangenheit - eine neue ungeheuerliche Bedrohung des europäischen Friedens kommen würde. Denn dem tschechoslowakischen Staat und seinen Machthabern war es nicht gelungen, das Zusammenleben der in ihm willkürlich vereinten Völkergruppen vernünftig zu organisieren und damit das Interesse aller Beteiligten an der Aufrechterhaltung ihres gemeinsamen Staates zu erwecken und zu erhalten. Er hat dadurch aber seine innere Lebensunfähigkeit erwiesen und ist deshalb nunmehr auch der tatsächlichen Auflösung verfallen.

 

Das Deutsche Reich aber kann in diesen für seine eigene Ruhe und Sicherheit sowohl als für das allgemeine Wohlergehen und den allgemeinen Frieden so entscheidend wichtigen Gebieten keine andauernden Störungen dulden.

 

Früher oder später müßte es als die durch die Geschichte und geographische Lage am stärksten interessierte und in Mitleidenschaft gezogene Macht die schwersten Folgen zutragen haben. Es entspricht daher dem Gebot der Selbsterhaltung, wenn das Deutsche Reich entschlossen ist, zur Wiederherstellung der Grundlagen einer vernünftigen mitteleuropäischen Ordnung entscheidend einzugreifen und die sich daraus ergebenden Anordnungen zu treffen, denn es hat in seiner tausendjährigen geschichtlichen Vergangenheit bereits bewiesen, daß es dank sowohl der Größe als auch der Eigenschaften des deutschen Volkes allein berufen ist, diese Aufgaben zu lösen.

 

Erfüllt von dem ernsten Wunsch, den wahren Interessen der in diesem Lebensraumwohnenden Völker zu dienen, das nationale Eigenleben des deutschen und des tschechischen Volkes sicherzustellen, dem Frieden und der sozialen Wohlfahrt aller zu nutzen, ordne ich daher namens des Deutschen Reiches als Grundlage für das künftige Zusammenlebender Bewohner dieser Gebiete das Folgende an:

 

Artikel I

 

Die von den deutschen Truppen im März 1939 besetzten Landesteile der ehemaligen Tschecho-Slowakischen Republik gehören von jetzt ab zum Gebiet des GroßdeutschenReiches und treten als ,Protektorat Böhmen und Mähren‘ unter dessen Schutz. Soweit die Verteidigung des Reiches es erfordert, trifft der Führer und Reichskanzler für einzelne Teile dieser Gebiete eine hiervon abweichende Regelung.

 

Artikel II

 

Die volksdeutschen Bewohner des Protektorats werden deutsche Staatsangehörige und nach den Vorschriften des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 Reichsbürger. Für sie gelten daher auch die Bestimmungen zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Sie unterstehen deutscher Gerichtsbarkeit. Die übrigen Bewohner von Böhmen und Mähren werden Staatsangehörige des Protektorats Böhmen und Mähren.

 

Artikel III

 

Das Protektorat Böhmen und Mähren ist autonom und verwaltet sich selbst. Es übt seine ihm im Rahmen des Protokolls zustehenden Hoheitsrechte im Einklang mit den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Belangen des Reiches aus. Diese Hoheitsrechte werden durch eigene Organe und eigene Behörden mit eigenen Beamten wahrgenommen.

 

Artikel IV

 

Das Oberhaupt der autonomen Verwaltung des Protektorats Böhmen und Mähren genießt den Schutz und die Ehrenrechte eines Staatsoberhauptes. Das Oberhaupt des Protektorates bedarf für die Ausübung seines Amtes des Vertrauens des Führers und Reichskanzlers.

 

Artikel V

 

Als Wahrer der Reichsinteressen ernennt der Führer und Reichskanzler einen ,Reichsprotektor in Böhmen und Mähren‘. Sein Amtssitz ist Prag. Der Reichsprotektor hat als Vertreter des Führers und Reichskanzlers und als Beauftragter der Reichsregierung die Aufgabe, für die Beachtung der politischen Richtlinien des Führers und Reichskanzlers zu sorgen. Mitglieder der Regierung des Protektorates werden vom Reichsprotektor bestätigt. Die Bestätigung kann zurückgenommen werden. Der Reichsprotektor ist befugt, sich über alle Maßnahmen der Regierung des Protektorats unterrichten zu lassen und ihr Ratschläge zu erteilen. Er kann gegen Maßnahmen, die das Reich zu schädigen geeignet sind, Einspruch einlegen und bei Gefahr im Verzuge die im gemeinsamen Interesse notwendigen Anordnungen treffen. Die Verkündung von Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Rechtsvorschriften sowie der Vollzug von Verwaltungsmaßnahmen und rechtskräftigen gerichtlichen Urteilen ist auszusetzen, wenn der Reichsprotektor Einspruch einlegt.

 

Artikel VI

 

Die auswärtigen Angelegenheiten des Protektorats, insbesondere den Schutz seiner Staatsangehörigen im Auslande, nimmt das Reich wahr. Das Reich wird die auswärtigen Angelegenheiten so führen, wie es den gemeinsamen Interessen entspricht. Das Protektorat erhält einen Vertreter bei der Reichsregierung mit der Amtsbezeichnung ‚Gesandter‘.

 

Artikel VII

 

Das Reich gewährt dem Protektorat den militärischen Schutz. In Ausübung dieses Schutzes unterhält das Reich im Protektorat Garnisonen und militärische Anlagen. Für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung kann das Protektorat eigene Verbände aufstellen. Organisation, Stärke, Zahl und Bewaffnung bestimmt die Reichsregierung.

 

Artikel VIII

 

Das Reich führt die unmittelbare Aufsicht über das Verkehrswesen sowie das Post- und Fernmeldewesen.

 

Artikel IX

 

Das Protektorat gehört zum Zollgebiet des Deutschen Reiches und untersteht seiner Zollhoheit.

 

Artikel X

 

Gesetzliches Zahlungsmittel ist neben der Reichsmark bis auf weiteres die Krone. Das Verhältnis beider Währungen zueinander bestimmt die Reichsregierung.

 

Artikel XI

 

Das Reich kann Rechtsvorschriften mit Gültigkeit für das Protektorat erlassen, soweit das gemeinsame Interesse es erfordert. Soweit gemeinsames Bedürfnis entsteht, kann das Reich Verwaltungszweige in eigene Verwaltung übernehmen und die dafür erforderlichen reichseigenen Behörden einrichten. Die Reichsregierung kann die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maßnahmen treffen.

 

Artikel XII

 

Das zur Zeit in Böhmen und Mähren geltende Recht bleibt in Kraft, soweit es nicht dem Sinne der Übernahme des Schutzes durch das Deutsche Reich widerspricht.

 

Artikel XIII

 

Der Reichsminister des Innern erläßt im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern die zur Durchführung und Ergänzung dieses Erlasses erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften.

 

 

Prag, den 16. März 1939.

Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler

Der Reichsminister des Innern Dr. Frick

Der Reichsminister des Auswärtigen von Ribbentrop

Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers.